Wir trauern über den Tod von Schani Margulies

Nachruf von Heidi Pirchner


Lieber Schani – ohne dich wäre vielleicht die UG, der Zusammenschluss der verschiedenen parteiunabhängigen Gewerkschaftsinitiativen gar nicht oder viel später gelungen. Ab der 2. Hälfte der 1980er Jahre entstand diese Vision einer größeren Organisation. Du warst in deinen Argumenten und mit deiner Lebensfreude eine richtungsgebende Kraft in der Zusammenarbeit von Menschen und Gruppen mit verschiedenen Wertvorstellungen, aber dem gemeinsamen Ziel: hinein in die Gewerkschaft, Reform des Kolosses ÖGB durch Wahlen, Demokratisierung, Mitbe-stimmung der Mitglieder. Zunächst sollte die neue Initiative durch den gemeinsamen Namen bei Personal- und Betriebsratswahlen sichtbar werden, dann auch als Unabhängige GewerkschafterInnen/UG die Fraktionsanerkennung in den Einzelgewerkschaften und im ÖGB erreichen.

Du kamst aus der GE, der Gewerkschaftlichen Einheit. Das war einst die Gewerkschaftsfraktion der KPÖ, in der die kritischen Stimmen gegen die Moskauhörigkeit der Parteiführung so heftig wurden, dass 1968 beim Einmarsch der UdSSR in die Tschechoslowakei  der gesamte Gewerkschaftsflügel aus der Partei austrat, doch als parteilose Gewerkschaftsfraktion im ÖGB verblieb und die Sitze behalten konnte. So hattet ihr uns einiges an Erfahrungen in gewerkschaft-licher Arbeit voraus und konntet diese auch vermitteln, das betraf sowohl die betriebliche Arbeit in der Interessenvertretung der KollegInnen als auch die Kontakte mit den Gewerkschaftsfunktionären und die Arbeit in den Gremien.
Die GE begegnete uns anderen Gruppierungen immer mit großer Offenheit und konsequenter Bereitschaft zu Zusammenarbeit und praktischer Unterstützung. Schani, du und Walter Lauber, ihr habt für mich diese Offenheit der GE besonders verkörpert. Da gab es nie eine „missionarische“, bornierte politische Haltung, du hast deine Standpunkte vertreten, warst aber stets bereit zu Auseinander-setzung mit anderen Meinungen und Akzeptanz. Heftige und vitale Debatten gab es oft, aber unter dem Vorzeichen des Interesses an einer pragmatischen Kooperation. Die GE als anerkannte Gewerkschaftsfraktion bekam ein bestimmtes Budget vom ÖGB und konnte ihre Tätigkeit auf eine kleine, wichtige Büro- und sonstige materielle Struktur stützen. Es war für euch immer selbstverständlich, dass wir eure Räume, Kopiergeräte, die Druckerei mitbenützen konnten. Diese Bereitschaft war eine wesentliche Förderung, oft hast du sie angeboten. Von euch konnten wir das annehmen, weil ihr keine Partei hinter euch hattet und wir Parteibindungen auf jeden Fall mieden, denn die Erfahrung war - sie sind lähmend, einschränkend.

In unserem Prozess der Annäherung war für dich bzw. die GE das Risiko klar:  dass sie mit einer Veränderung des Namens Gefahr lief, den Sitz in ÖGB-Spitzen-gremien und den Fraktionsstatus zu verlieren, dennoch nanntet ihr euch AUGE-UG (Alternative und Grüne GewerkschafterInnen-Unabhängige Gewerk-schafterInnen) als Ausdruck der Zusammengehörigkeit . Da du für die GE den Sitz im Bundesvorstand des ÖGB einnahmst, konntest du die UG-Anliegen und Verhandlungstermine einfordern. Nie hast du einen „Sonderstatus“ der „Alten Linken“, der GE vertreten, immer warst du von gleichberechtigter Kommunikation und von der Notwendigkeit neuer Bündnisse überzeugt.  In vielen Treffen der UG-Listen wurden Haltungsunterschiede deutlich, aber auch die gemeinsame Richtung: wir wollen als kritische Kraft gegenüber Sozialpartnerschaft und Standesinteressen, solidarisch mit der Gesamtheit der Arbeitenden, hineinwirken in die Gewerkschaft.
Wir LehrerInnen und die KollegInnen aus anderen Sektionen des Öffentlichen Dienstes hatten außerdem unsere ganz speziellen Probleme in der stock-schwarzen Gewerkschaft Öffentlicher Dienst, um hinein zu kommen, Anerkennung zu gewinnen – auch hier warst du in den ersten Gesprächsrunden mit den Vorsitzenden dabei und hilfreich. Das war gegen Ende der 80er Jahre, da gab es die ersten Gespräche mit dem alten GÖD-Vorsitzenden Rudolf Sommer, dem Totalblocker in der Brandung der Reformforderungen, z. B. nach Wahlen in der Gewerkschaft. Ab 1989 hatten wir es mit dem sturtrockenen Vorsitzenden Siegfried Dohr zu tun, was Gesprächsbereitschaft ohne Resultate brachte, dann seit 1997 mit dem Sesselkleber und Ämterkumulanten Fritz Neugebauer. Schlussendlich schafften wir es nach ein paar Jahrzehnten, den Widerstand der Gegenseite als Verstoß gegen die eigene GÖD-Satzung endgültig zu klären und jetzt sind wir eine anerkannte Fraktion in der GÖD und im ÖGB.

Nun noch weiter zurück als zu unseren UG-Anfängen – es geht ja um dich, warum warst du eine große Hilfe? Das Zusammenfinden hängt mit deiner und unserer Vorgeschichte zusammen. In den „glorreichen“ 70er Jahren, den Aufbruchszeiten für viele Themen, in denen du auf Seiten der GE und wir anderen MitbegründerInnen der UG schon in den verschiedenen Initiativen aktiv waren, hast du schon in den Außenkontakten der GE ihre Öffnung gegenüber den neuen Gruppierungen signalisiert, den Kontakt gesucht – mit der „Neuen Linken“, mit den vielen Arbeitskreisen, z.B. den Dritte-Welt-Gruppen, der neuen Frauen-bewegung, der Ökologiebewegung und schließlich der Anti-AKW-Bewegung. Wir “GründerInnen“ kamen aus diesen neuen Gruppen mit der Erfahrung, dass wir auch in unseren Arbeitsbereichen partei- und weltanschungsübergreifende Zusammenschlüsse brauchen, um bestimmte Reformen durchzusetzen. Du warst ein überzeugter Agitator für größtmögliche Gemeinsamkeiten – ein Prinzip war die Ausgrenzung von Rechtslastigen, Demokratiegegnern, das war für niemanden eine Frage.

Deine Haltung wurzelte auch in deiner Familiengeschichte. Deine Eltern waren in der KPÖ und im Widerstand gegen den Austrofaschismus aktiv, emigrierten nach Belgien, nach dem Einmarsch der Deutschen nach Frankreich. Von dort wurde der Vater ins KZ Buchenwald deportiert, nach 19 Monaten wieder entlassen, wurde Partisan im besetzten Jugoslawien ... Schon ab 1940 waren deine Eltern mit dir auf der Flucht. Als Jugendlicher warst du in den Fußstapfen der Eltern in der KPÖ aktiv, aber das Wissen über den Stalinismus führte die Jungen zum parteiinternen Widerstand. Selbstverständlich gehörtest du zu denen, die 1968 den Zorn über den Einmarsch der UdSSR in die CSSR, die Zerschlagung des Reformkurses, des „Prager Frühlings“, in einer positiven Revolte entluden und sich mit der GE geschlossen von der Partei trennten. Entsprechend der 1945 vereinbarten Gründungsbeschlüsse des ÖGB konnte die GE weiter ihre Sitze und Rechte im ÖGB behalten, siehe oben ... So hast du, Schani, dann deine Vermittlertätigkeit für die neuen gewerkschaftlichen Bewegungen ansetzen können. Durch deine Erfahrungen und Kontakte hatten wir „einen Fuß in der Tür“. - Als du später in den 90ern bei den Grünen aktiv wurdest und für sie kandidiertest, hast du deine Gewerkschaftsfunktionen an Troppy Bastecky abgegeben, weil deine Parteiarbeit als Kandidat der Grünen nicht kompatibel mit Prinzipien der UG war. Menschen aus Parteiorganisationen konnten bei uns mitarbeiten, aber nur solange sie dort nicht in führenden Funktionen waren.

Lieber Schani, ein großes herzliches Danke für deine Offenheit, Unterstützung, Kooperation, die Anstöße aus deinen Erfahrungen, deine Freundlichkeit und Beharrlichkeit. Du hast ausgestrahlt, was uns bis heute wichtig ist: über weltanschauliche Differenzen hinweg in gemeinsamer Aktion gemeinsame Ziele zu verfolgen, so wie es heute in der Bewältigung der Flüchtlingsströme ansteht, der Integration (z.B. in den Schulen). Du bleibst in unserer Erinnerung, die Essenz des Vergangenen ist lebendig in der Gegenwart – wir werden uns weiter mit dem auseinandersetzen, was uns als Mauern entgegentritt, damit wir Durchgänge finden.

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